Die Pflanze, die schon Humboldt begeisterte
Der Cardón, auch Kanaren-Wolfsmilch genannt, ist Jens Lieblingspflanze auf Teneriffa und damit steht er nicht alleine dar. Kein Geringerer als der berühmte Naturforscher Alexander von Humboldt nannte den Cardón im Anzeige Reisebericht über seine Woche auf Teneriffa “eine der wunderbarsten Pflanzengestalten” und “eine der bedeutendsten Charakterpflanzen der Kanarischen Inseln”.
Du siehst den Cardón dutzende Male, wenn du Teneriffa besucht und dich auch nur ein bisschen außerhalb des Poolbereichs bewegt. Und doch wird er nur selten als das wahrgenommen was er ist: Eine echte Pflanzen-Sensation, die es nur auf den Kanaren gibt.
Wie sieht ein Cardón aus und wo wächst er?
Cardón ist der lokale Name für einen bis zu 4 Meter hohen Strauch, der nur auf den Kanaren wächst und sich optimal an seinen trocken-heißen Lebensraum angepasst hat. Auf Teneriffa wächst die sukkulente Pflanze mit der auffälligen Wuchsform auf den felsigen Hängen, Klippen und Lavafeldern der trockenen Vegetationszone unter den Wolken. Im Norden kommt der Sukkulentenbusch in einer Höhe von bis zu 400 Metern vor, im Süden kannst du die Cardón auch noch in bis zu 800 Metern Höhe entdecken.
Typisch für den Cardón, der über 100 Jahre alt werden kann, ist sein nahezu kreisförmiger Wuchs. Er ist mehrstämmig und hat dicke, senkrecht nach oben ragende Zweige, die meist vier-bis sechskantig sind und an den Kanten zwei kurze, leicht nach oben gebogene Dornen haben. Die grün-gelblichen Zweige verfärben sich mit zunehmendem Alter über grün-silbrig zu silbergrau.
Bis zu 150 säulenartige Zweige wachsen aus je einem Stamm, der an der Basis verholzt ist. Dadurch entsteht die typische Form des Cardón, die einem mehrarmigen Kerzenleuchter ähnelt und deshalb auch als kandelaberartig bezeichnet wird.
Häufig wachsen zwischen den einzelnen hoch aufragenden Cardónzweigen weitere Pflanzenarten wie z.B. Tabaiba.
Eine alte Kanaren-Wolfsmilch mit silbriggrauem Stamm am Punta del Teno.
Die durchschnittliche Fläche, die ein ausgewachsener Cardón einnimmt, beträgt 30 m2. Einige Exemplare können größer als 100 m2 werden und der berühmteste Cardón der Insel Teneriffa, der Cardón von Buenavista del Norte (Teneriffa), war sogar 148 m2 groß. Besonders im Inneren großer Cardónes entsteht durch das dornige Dickicht der Cardónzweige ein geschützter Mikrolebensraum für verschiedene Tier- und Pflanzenarten
Extrawissen: Perfekt an an die trockene Umgebung und den Wassermangel angepasst – der Cardón (Euphorbia canariensis) hat ein ausgedehntes Wurzelsystem, das bei Regen schnell Wasser aufnimmt. Dieses speichert er in seinen dicken, blattlosen Zweigen, die gerade nach oben ragen und so von der sengenden, fast senkrecht stehenden Mittagssonne kaum getroffen werden. Blätter kommen höchstens bei Jungpflanzen vor und die Nebenblätter sind zu Dornen umgewandelt, um Wasserverluste durch Transpiration zu vermeiden.
So angepasst, kann der Cardón auch relativ lange Trockenperioden unbeschadet überstehen.
Im Mai/Juli bilden sich rötlich-grüne Blüten an den Enden der Zweige. Die Blüten bestehen aus einer einzelnen weiblichen Blüte, die von mehreren männlichen Blüten umgeben ist. Aus den bestäubten Blüten entwickeln sich orange-rote dreieckig geformte, Früchte.
Der Cardón steht auf der Roten Liste der IUCN. Noch gilt er als nicht gefährdet, aber sein Bestand geht zurück.
Bei Verletzung gibt es Latex: Schutz für den Cardón, unangenehm bis giftig für Mensch und Tier
Wird ein Cardón verletzt, tritt dicker weißer Milchsaft aus der Wunde aus, der an der Luft schnell gerinnt. Neugierenden Menschen verklebt er die Hände und fresslustigen Tieren die Mundwerkzeuge. Zudem enthält der Milchsaft, der auch Latex genannt wird, hochgiftige Inhaltsstoffe. Diese sind reizend für Schleimhäute und besonders gefährlich für die Augen und können sogar zur Erblindung führen.
Der Milchsaft ist gleichermaßen giftig für Mensch und Tier. Die Guanchen warfen früher Cardónstücke in die Charcos, um die dort lebenden Fische und Pulpos zu betäuben und leichter zu fangen. Auch für Ziegen und Kaninchen, bekannt dafür alles abzufressen, was ihnen unter die Zähne kommt, ist der Milchsaft giftig. Davon profitieren wiederum die Pflanzen, die im Schutz des Cardón wachsen. Und weil die Dosis das Gift macht, wurde der Cardón lange Zeit in der traditionellen Heilkunst der Kanarischen Inseln genutzt, zum Beispiel als Abführmittel – für Mensch und Tier.
Der berühmteste Cardón Teneriffas: Der Cardón von Buenavista
In Buenavista del Norte, genauer an der Straße zur Punta de Teno, stehen die Überreste eines mächtigen Cardóns, der zu seiner besten Zeit fast 150 Quadratmeter groß und etwa 5 Meter hoch gewesen sein soll. Zwanzig Männer mit ausgebreiteten Armen, soll es gebraucht haben, um ihn zu „umarmen“.
Bereits im 18. Jahrhundert war dieser Cardón international für seine Größe bekannt. Sogar der deutsche Naturforscher Alexander von Humboldt soll sich für ihn interessiert haben. Besucht hat er diesen Cardón auf seiner nur Anzeige einwöchigen Forschungsreise nach Teneriffa im Jahr 1799 aber nicht, vermutlich weil Buenavista del Norte nicht auf der Reiseroute lag und wegen der Abgeschiedenheit des Ortes auch nur schwer und zeitaufwendig zu erreichen war.
Während des Bürgerkriegs und der anschließenden Franco-Diktatur sollen Legenden nach Kommunisten, Sozialisten und Gewerkschafter zwischen den Zweigen Zuflucht gesucht haben, um vor der Guardia Civil und der Falange zu fliehen.
Heute hat der Cardón von Buenavista leider nur noch einen Durchmesser von etwas über 5 m, denn große Teile wurden bei einem Brand Mitte des 20. Jahrhunderts zerstört. Wegen seiner herausragenden Bedeutung wurde der vermutlich über 200 Jahre alte Cardón von Buenavista del Norte in den 1990ern in Katalog der monumentalen Bäume Teneriffas aufgenommen und wenig später vom Cabildo de Tenerife als eine der 292 „Pflanzen von Interesse“ klassifiziert.
Seit 1986 ist der Cardón im Stadtwappen von Buenavista abgebildet.
Der Cardón und die aktuelle Diskussion zu einem Mega-Tourismusprojekt
Kürzlich schrieb Pablo auf instagram „Wir müssen den Cardón in Mode bringen“. Aktueller Hintergrund ist die Diskussion um das große touristische Neubauprojekt „Cuna del Alma“. Rund um den El Puertito de Adeje, eine der letzten nicht bebauten Regionen an der stark erschlossenen Südküste Teneriffas, sollen 420 Luxusresidenzen errichtet werden. Um dieses Land zu bebauen, muss zunächst alles planiert werden. Und zwar inklusive der dort vorhandenen Gewächse, wie dem Cardón und anderen geschützten Pflanzen, darunter solche. Von den dort gefundenen Resten der Guanchenkultur mal ganz abgesehen.
Durch die Bebauung würden die Schönheit, der unverdorbene Erhaltungszustand und die pflanzengeographisch-soziologische Wichtigkeit des Gebietes unwiederbringlich zerstört, so die Gruppe der Projektgegner. Diese vertreten zudem die Meinung, dass die erforderlichen Genehmigungen, unter anderem Gutachten zum kulturellen Erbe und Umweltverträglichkeitsbericht, nicht korrekt bzw. nicht vorhanden sind. Trotzdem rollen gerade die Bagger, fräsen sich durch die Landschaft und schaffen Fakten. Du findest das nicht richtig? Dann verfolg den Protest und unterstütze ihn, zum Beispiel über diese Kampagne.
Bleibt nur noch eins zu sagen: Bei uns herrscht große Cardón-Liebe und wir hoffen, dass er auch als Symbol für den Umweltschutz und einen wirklich nachhaltigen Tourismus „in Mode kommt“. Nicht für eine Saison, sondern als Klassiker!