Zuerst passierte es auf einer Wanderung entlang der wilden Küste zwischen Los Silos und Buenavista del Norte. Und dann bei einer Wanderung am Punta del Teno: wir kamen an Stellen vorbei, die sich auffällig hell von der Umgebung abhoben. Beim näheren Hingucken sahen wir Muschelschalen. Viele Muschelschalen, hübsch abgegrenzt auf einem Haufen.

Spätestens nach dem dritten Haufen war klar: das ist doch kein Zufall. Aber was ist es? Wie kommen die Schalen dahin, so nah am Meer und fernab des nächsten Orts? Die Recherche gestaltete sich verdammt zäh – wer die passenden Begriffe nicht kennt, muss lange suchen.

Mittlerweile ist das Rätsel gelüftet. Es sind Muschelhügel der Guanchen, also die mehr als 500 Jahre alten “Küchen”abfälle der Ureinwohner Teneriffas.

Im Artikel Teneriffas Ureinwohner: auf den Spuren der Guanchen erfährst du mehr zu den Guanchen.

Was sind Muschelhaufen?

Muschelhaufen sind uralte Abfallhaufen aus Resten von Meerestieren, also Muschelschalen und Schneckenhäusern. Angelegt wurden sie von prähistorischen und historischen Gruppen, die Gezeitenfischerei an Meeres- oder Flussufern als Haupt- oder Zusatznahrungsquelle betrieben. 

Von Grönland bis Südafrika, von Brasilien bis Tasmanien – Muschelhaufen (shell middens) sind in vielen verschiedenen Teilen der Welt und in vielen verschiedenen Kulturen bekannt. Sie befinden sich in der Regel in küstennahen Umgebungen wie Stränden, Küstenklippen und Felsenunterständen.

Ein Muschenhaufen am Punta del Teno auf Teneriffa

Über welchen Zeitraum die Muschelhügel entstanden variiert stark: abhängig vom Standort und den kulturellen Gewohnheiten der Bevölkerung, die sie angelegt haben, wurden sie einmalig oder regelmäßig über Jahre bis Jahrhunderte hinweg genutzt.

Muschelhügel sind oft sehr gut erhalten, da sie vor zerstörerischen Naturkräften wie Wellen- und Windenergie geschützt sind und der pH-Wert des Bodens durch den Kalk der Schalen hoch ist, was Zerfallsprozesse verlangsamt.

Kanarische Muschelhaufen

Concheros mit haufenweise Meeresschneckenschalen

Die Ureinwohner der Kanarischen Inseln nutzten die reich Ressourcen des Meers und der Küstengebiete. Sie sammelten Meerestiere in den Flachwasserzonen. An geschützten Stellen an Land trennten sie dann die essbaren Teile von den Schalen, vermutlich um den Transport der Ware zu erleichtern. Die weggeworfenen Schalen türmten sich zu Muschelhaufen auf, die überall auf dem Archipel zu finden sind und hier Concheros genannt werden.

Schneckenhaufen, so müsste es eigentlich auf den Kanaren heißen, denn typischerweise bestehen die Hügel hier aus den Häusern meeresbewohnenden Schnecken der Gattung Patella Linnaeus.

Diese Napfschnecken sind auf den Kanaren als Lapas bekannt. Sie bewohnen die felsige Gezeitenzone der küstennahen Umgebung und waren von der Antike bis heute eine wichtige Proteinquelle für die Kanarischen Inseln. Aber auch anderen Meeresschneckenarten wie Burgados (Kreiselschnecke Phorcus spp.) und die Rotmundige Steinschnecke (S. haemastoma) sind in den Concheros zu finden.

Ein Teller mit Lapas vom Grill mit Mojo.

Nach wie vor stehen Lapas auf dem Speiseplan.

Die bisher gefundenen Concheros lagen häufig in der Nähe felsiger Plattformen unmittelbar der Küste, die reich an Napfschnecken waren. Einige der Muschelhügel lagen an den Wohnstätten der Ureinwohner. Viele jedoch entstanden an Stellen, an denen Meerestiere gesammelt und gepult wurden, um ihr Fleisch auszulösen und für den späteren Verzehr zu trocknen.

Isla Baja und Teno Bajo: hier gibt es die meisten Muschelhaufen der Kanaren

Teneriffa, die größte der kanarischen Inseln, verfügte zur Zeit der Guanchen über ein solides landwirtschaftliches System. Ergänzt wurde die Ernährung der Ureinwohner durch Muschelfischerei und Viehzucht.

Die Nordwestküste von Teneriffa ist geprägt von den Küstenplattformen Daute und Teno Bajo. Genau hier liegen die meisten archäologischen Fundstellen mit Meerestierschalen aus der Zeit der Ureinwohner der Kanarischen Inseln. Mehr als 50 Muschelhügel gibt es in dieser Gegend.

Die überwiegende Mehrheit der Concheros liegt parallel zur Küste, in einem Streifen zwischen 50 und 300 Metern vom Meer entfernt. Auffällig ist zum einen, dass sie häufig an Felsen oder an Lavastromfronten liegen. Diese bieten Schutz, insbesondere vor dem Wind. Zum anderen besteht Sichtkontakt zwischen den einzelnen Concheros, da sie nahe beieinander und parallel zur Küstenlinie liegen.

Heute reicht die Größe und das Aussehen der Concheros von kleinen, verstreuten Muschelschichten auf erodierten Oberflächen von wenigen bis zu mehreren hundert Metern großen Muschelhügeln. Von einer dünnen, einzelnen Schicht bis zu mehreren Schichten, die dicke Ablagerungen von über 40 cm Tiefe bilden.

Einfach zu finden: Conchero am Küstenweg von Buenavista del Norte

Quasi im Vorbeigehen kannst du einen der ältesten Concheros Teneriffas entdecken. Auf dem Küstenwanderweg entlang des Golfplatzes von Buenavista del Norte. Dieses Gebiet war mindestens 1900 Jahre kontinuierlich besiedelt: die ältesten Spuren stammen aus dem 2. bis 4. Jahrhundert v. Chr., die jüngsten Funde aus dem 12. bis 14. Jahrhundert.

Warum sind Muschelhaufen so bedeutend?

Muschelhaufen liefern wertvolle Informationen über die Nutzung der Küsten durch die Guanchen und zeigen die Wechselwirkungen zwischen menschlicher Besiedlung und Umwelt.  Die indigenen Gruppen betrieben über Jahrhunderte hinweg eine intensive, aber nachhaltige Ernte von Meerestieren und konsumierten große Mengen, ohne die Populationen zu beeinträchtigen.

Untersuchungen von Schalen der Lapa negra (Patella candei) aus Mülldeponien auf La Gomera, La Palma und Teneriffa zeigen unter anderem, dass diese Art in den kältesten Monaten des Jahres nicht gesammelt wurde. Die gleichbleibende Größe der Muscheln deutet auf eine konstante und nachhaltige Sammelintensität in vorkolonialer Zeit hin, während heutige Erntepraktiken zu einem Größenrückgang der Schnecken führen.

Wenn du einen Conchero entdeckst, verändere bitte nichts. Dreh keine Schnecken dekorativ ins Bild und nimm keine als Erinnerung mit nach Hause. Vor allem mach es besser als hier auf dem Bild: trampel nicht durch.

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