Von wegen Rentnerparadies – Teneriffa ist ein Pflanzenparadies! Die Insel ist ein Hotspot der biologischen Vielfalt und wird wegen ihres hohen Anteils an endemischer Flora (also Pflanzen, die nur hier vorkommen) auch als Galapagos der Pflanzenwelt bezeichnet. Doch nicht alle Pflanzen, die uns auf Teneriffa begegnen, kommen hier natürlich vor oder sind gar typisch für die Insel. Ein gutes Beispiel dafür sind Feigenkakteen, auch Opuntien genannt.
Feigenkakteen – typische Pflanzen auf Teneriffa?
Ein gemütlicher Samstag Nachmittag auf dem Sofa. Ich blättere in einer Zeitschrift und lese “Typisch für Teneriffa sind die mit Dornen übersäten Feigenkakteen”. Moment, stimmt das?
aus dem Magazin Bergwelten, Ausgabe Februar + März 2023, Seite 108, Red Bull Media House GmbH
Teneriffas typische Pflanzen
Die typischen Pflanzen der Kanarischen Inseln bzw. Teneriffa sind gebietseigen, standorttypisch und prägen die verschiedenen Vegetationszonen der Insel, so zum Beispiel Cardón (Euphorbia canariensis), Kanarische Palme (Phoenix canariensis) und Drachenbaum (Dracaena draco), Kanarische Kiefer (Pinus canariensis) oder Wildpret Natternkopf (Echium wildpretii).
Wann kamen die ersten gebietsfremden Pflanzen nach Teneriffa?
Teneriffa ist etwa 12 Millionen Jahre alt. Viel Zeit, in der sich die Pflanzenwelt der Insel ohne menschlichen Einfluss entwickeln konnte. Erst seit Kurzem, zumindest verglichen mit der bisher verstrichenen Zeit, prägt der Mensch die Insel und damit auch die Pflanzenwelt.
Die ersten gebietsfremden Pflanzenarten kamen vor ungefähr 2000 Jahren mit der Ankunft der Guanchen, den ersten bekannten Bewohnern, auf die Insel. Mit der spanischen Eroberung 1496 wurden weitere Arten eingeführt, so z.B. Zuckerrohr und Wein. Zahlreiche weitere Pflanzen und Nutzpflanzen wurden nach der Entdeckung der „Neuen Welt“ auf die Insel gebracht und hier angepflanzt. Darunter waren Agaven und Feigenkakteen, die vor allem im 18./19. Jahrhundert aus Amerika nach Teneriffa gelangten. Diese gehören heute zu den am weitesten verbreiteten Arten, die eingeführt wurden.
Feigenkakteen auf Teneriffa
Weder in Europa, noch auf den Kanarischen Inseln kommen Feigenkakteen natürlich vor – auf Teneriffa wurden sie erst vor rund 200 Jahren aus Mexico eingeführt.
Feigenkakteen wurden für die Cochenille-Zucht eingeführt
Feigenkakteen wurden in den 1820er Jahren aus Mexico auf die Kanaren eingeführt. Hintergrund war nicht etwa die Nutzung der Früchte als Nahrungsmittel, sondern die Anzucht der Cochenille. Aus dieser Schildaus, die auf den Trieben der Feigenkakteen wächst, lässt sich ein begehrter roter Naturfarbstoff gewinnen: Karmin.
Ursprünglich wurde auf den Kanaren nur der Gewöhnliche Feigenkaktus (Opuntia ficus indica, auch Nopalkaktus genannt) angepflanzt. Diese Art hatte sich im Vergleich mit anderen Opuntien als besonders geeignet für die Cochenille-Anzucht herausgestellt. Der Dillenius-Feigenkaktus (Opuntia dillenii) wurde vermutlich versehentlich eingeführt.
Das Geschäft mit der Cochenillelaus war einträglich – schnell entstanden große Monokulturen mit Feigenkakteen und die Kanaren stiegen zum weltweit größten Produzenten der Cochenille auf. Der Erfolg hielt aber nicht lange an, denn mit der Entdeckung der billiger herzustellenden synthetischen Anilinfarbstoffe brach die Nachfrage des Naturstoffs im Jahrzehnt 1870-1880 dramatisch ein. Die Folge: der Anbau von Feigenkakteen wurde aufgegeben und die hauptsächlich auf die Produktion der Cochenille ausgerichtete Landwirtschaft der Kanaren kollabierte.
Das Problem: Feigenkakteen verdrängen die typische Vegetation
Während der Gewöhnliche Feigenkaktus meist erst oberhalb von 400 m und häufig als Kulturfolger anzutreffen ist, scheint der Dillenius-Feigenkaktus wärmeliebender zu sein und bevorzugt die tiefer-gelegenen, felsigen Standorte. Und genau das ist das Problem: Mittlerweile hat sich der Dillenius-Feigenkaktus großflächig im Sukkulentenbusch etabliert und bedeckt rund 50 % dieser Standorte – und das von den küstennahen Gebieten bis hinauf zur Waldstufe. Dabei verdrängen die Feigenkakteen die typische, die natürliche Vegetation in dieser Zone, z.B. Cardón und Tabaiba.
Die massive Ausbreitung der Feigenkakteen wird nicht nur durch die ausladende Wuchsform erleichtert. Die essbaren Früchte werden gern von Vögeln, Eidechsen und Menschen verzehrt, wobei die zahlreiche Samen freigesetzt werden. Abgebrochene Sprossstücke können auf dem Boden leicht wurzeln und sorgen so für eine rasante Vermehrung. Der Dillenius-Feigenkaktus gilt als die aggressivste Feigenkaktus-Spezies weltweit und wird unter den „100 schlimmsten invasiven Arten der Welt“ aufgeführt.
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Feigenkakteen – häufige, aber gewiss nicht typische Pflanzen auf Teneriffa
Auf Teneriffa brachte die Einfuhr der Feigenkakteen eine kurze Zeit lang wirtschaftlichen Aufschwung. In der Zwischenzeit haben die Pflanzen jedoch bedeutende ökologische Schäden verursacht, Ärger im Pflanzenparadies also.
Und jetzt werden Feigenkakteen sogar als typische Vegetation von Teneriffa präsentiert.
Unbestritten sind Feigenkakteen für viele Menschen der Inbegriff einer südlichen Vegetation und ein Sinnbild für Sommer, Sonne, Strandurlaub. Häufig auf Teneriffa? Ein klares Ja. Aber typisch für Teneriffa? Nein, denn es gibt sie nahezu überall auf der Welt: den Echten Feigenkaktus unter anderem in Mittel- und Südamerika und Europa, Afrika und der Arabischen Halbinsel, Indien und Australien.